Als hauptberufliche Youtuberin – oder, wie man heute so schön sagt, „Edutuberin“, also eine Person, die sich auf YouTube mit Bildungscontent beschäftigt – möchte ich den gigantischen Nutzen dieser Plattform in einem neuen Licht darstellen. Es soll nämlich um Videos zum Deutschlernen gehen, aber nicht um den klassischen „Sprachunterricht“.
Hiermit möchte ich die Aufmerksamkeit der Leser٭innen auf Videos lenken, die nicht an Sprachlernende gerichtet sind. Man stelle sich einfach vor, wie viel nützlichen Content YouTube zu bieten hat, auch wenn man den „Unterricht“ ausklammert. Jede und jeder Sprachlernende hat zahlreiche Interessen und Hobbys. Was spricht also dagegen, sich auf YouTube Kanäle zu suchen, die wissenswerten Content zu Themen anbieten, die einen ansprechen?
Der Denkfehler vieler Lehrkräfte besteht leider darin, dass sie glauben, zum Sprachenlernen seien nur Lernvideos geeignet, die explizit als solche gekennzeichnet sind.
Schauen wir aber beispielsweise, wie viel Mehrwert jemand einem Video entnehmen kann, wenn die Motivation nicht nur darin besteht, „etwas für sein Deutsch zu tun“ – sprich, z. B. ein Video über Dativ oder Akkusativ, Passiv oder Konjunktiv II zu sehen –, sondern sich ein Video für „echte“ Muttersprachler zu einem spannenden Thema anzuschauen:
- Kochvideos
- Handarbeits-Tutorials
- Fashion-Blogs / Schminktutorials
- Alltagsberichte zu allen möglichen Themen
- Content für Familien und Kinder
- Fitness, Yoga & Co
- Reisevlogs
- Bücherrezensionen
- Selbstentwicklung
- Bewerbungstipps
- Gaming – ja, auch dieser Bereich lässt sich mit ein bisschen Kreativität im Unterricht behandeln
- Und vieles, vieles mehr
Dies alles ist wertvoller Content, der durchaus als authentisches Lernmaterial genutzt werden kann. Der Nachteil ist zwar, dass man sich als Lehrkraft erstmal ein paar Stunden Zeit nehmen muss, um eine Vorauswahl der Materialien zu treffen, aber es lohnt sich, versprochen!
Der zusätzliche Vorteil liegt aber darin, dass die Deutschlernenden sich viel eher mit dem Content identifizieren können, wenn sie sich ein Video nicht um der Sprache willen ansehen, sondern primär das Thema interessant und spannend finden. Wer etwas Neues über sein Hobby erfahren möchte beispielsweise über Backen oder Gärtnern, Hundeerziehung oder Kinderbespaßung während der Corona-Quarantäne, ist in der Regel aufnahmefähiger für neue Vokabeln als jemand, der ein Deutschlernvideo nach dem Anderen verfolgt.
Die Sprache der Muttersprachler mag in solchen Videos zwar kompliziert und schnell sein, aber so trainiert man das Hörverstehen besonders effektiv. Die Diskrepanz zwischen dem, was man im Deutschkurs gehört hat und der Sprache, die man im Alltag von Deutsch-Muttersprachlern hört, wird somit verringert und die Deutschlernenden haben weniger das Gefühl, als würden Sie bloß „künstliches“ Deutsch lernen, das für ihr Niveau adaptiert wurde.
Nicht zu vergessen ist auch die Tatsache, dass ja DaF-Lerner keine „Tabula rasa“ sind, sondern über zahlreiche Lebenserfahrungen verfügen, Hobbys, Interessen, Vorlieben, Wünsche und Träume haben. Wenn sie sich also mit Videos beschäftigen, die für sie als Experten interessant sind, steigt die Motivation ebenfalls rasant. Zum Beispiel könnte ein SchülerVlog für Schüler interessanter sein, als reguläre Unterrichtsinhalte oder für fitnessbegeisterte Teenager könnten Fitnessvideos nützlich sein usw.
YouTube nennt man neuerdings immer häufiger „das neue Google“ und meint damit, dass man dort alles Mögliche findet, von Tutorials „Wie schminke ich mich richtig“ über Kochrezepte und Fitnessübungen bis zu Reparatur-Tutorials. Somit eignen sich zahlreiche Inhalte auch durchaus, um alltagstaugliches Deutsch zu lernen!
Nutzen Sie die Tatsache, dass die Schüler٭innen andere Interessen haben als Sie selbst. Insofern ist es sicher sinnvoll, die Schüler٭innen nach ihren Favourites zu fragen und daraus eine Playlist zu erstellen, mit der gearbeitet wird. Schüler٭innen trennen in der Regel den Content, den sie in ihrer Freizeit konsumieren vom Lerninhalt. Zeigen Sie ihnen, wie man mit dem Spaßcontent lernen kann und Sie sind King oder Queen.
Eine YouTube-Rallye bietet sich für den Einstieg an. Stellen Sie eine Liste von Fragen zusammen, auf die die Schüler٭innen Antworten auf YouTube finden müssen, wählen Sie dazu Themenbereiche aus, mit denen sich Ihre Lerner٭innen identifizieren können und mischen Sie diese mit „pädagogisch wertvollen Inhalten“. All das kann man wunderbar als eine medienkompetenz-stärkende Aktivität verpacken, da die Schüler٭innen dabei lernen, Content kritisch zu beurteilen. Man könnte sogar einen Wettbewerb darüber veranstalten, wer die besten Videos in den vorgegebenen Kategorien findet und die Bewertungskriterien gemeinsam mit den Schüler٭innen erarbeiten. Ein paar Ideen wären folgende:
- „Welche Serie sollte man sich dieses Jahr nicht entgehen lassen bzw. von welcher sollte man die Finger lassen?“ Hier ist der Trick, es auch noch zu begründen, und zwar nicht nur aus der eigenen Perspektive, sondern auch im Hinblick darauf, dass die Klassenkameraden ja möglicherweise andere Interessen haben als man selbst.
- Der coolste Urlaubsort für Teenager? ReiseVlogs raussuchen, vergleichen, Kriterien ausarbeiten z. B. was muss ein solcher Urlaubsort haben?
- Wie überzeugt man Eltern davon, dass das Computerspiel X einen tollen Lerneffekt hat? „Let’s Play Videos“ suchen und elterntaugliche bzw. lehrtaugliche herausfiltern.
- Die besten Partyrezepte für einen Teenager-Geburtstag, bei dem man das Catering selbst machen möchte, aber nicht kochen kann.
Wichtig ist natürlich, dass bei jüngeren Schüler٭innen das Ganze in einem geschützten Rahmen ablaufen sollte, weil YouTube nun mal nicht 100% kindgerecht ist. Es lässt sich auch mit Grundschülern einiges machen, aber da ist es sinnvoll, sie nicht allein auf die Suche zu schicken.
Bei Jugendlichen sollte man beachten, dass man ihnen möglicherweise ein Zeitlimit pro Aufgabe vorgibt, sonst besteht die Gefahr, die durchaus auch bei Erwachsenen da ist, dass sie sich in der Unmenge der Videos verlieren und am Ende vergessen, wonach sie gesucht haben. Ich halte es für sinnvoll, Schüler٭innen mit Rechercheaufgaben zu zweit oder in 3er-Gruppen loszuschicken und dann das Ergebnis der Klasse zu präsentieren.
Das gemeinsame Anschauen von Videos in Echtzeit im Unterricht ist dann bereichernd, wenn die Schüler٭innen zum Beispiel anhand von gemeinsam ausgearbeiteten Kriterien diese Videos auch bewerten sollen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es eine spannende Aktivität ist, Videos von berühmten Youtubern zu bewerten, wenn man einen Kriterienkatalog vorliegen hat. Videoschnitt, Musik, klare und deutliche Sprache, Mehrwert des Inhalts, „Abo – ja oder nein?“ und ähnliche Kriterien sind denkbar. Sobald die Schüler٭innen nicht nur sehen, sondern auch bewerten müssen, werden sie aktiv.
Ein weiteres spannendes Projekt wäre auch, Schüler٭innen in die Rolle von Youtubern schlüpfen zu lassen, aber das ist wohl ein Thema für einen separaten Artikel.
Eine sehr kleine Auswahl meiner aktuellen Lieblingskanäle ist folgende:
Sprachheld: alles rund ums Sprachenlernen, Tipps von Polyglotten usw. https://www.youtube.com/channel/UCqeGbXlqocef4XoZ-7Z4ECQ
Laila Maria Witt: Baby, Schwangerschaft, Familie, Erziehung, Kinderbeschäftigung von der wundervollen Schauspielerin Laila Maria Witt aus Berlin. https://www.youtube.com/channel/UCtYN8HjcQVvpv7gVR8iWQ6A
Rebecca Elizabeth: alles rund ums Studium, sehr charismatisch präsentiert von Rebecca. https://www.youtube.com/channel/UCun2qqzZOOVcuW9hZhaDxmQ
Greator (ehemaliger GedankenTanken): in etwa die deutschsprachige Version von TED. https://www.youtube.com/user/GEDANKENtanken
Ikenna (auf Englisch): ein Polyglott erzählt, wie er Sprachen lernt. https://www.youtube.com/channel/UCem5o3ugCFodmrO7EmhtJ0A
RedeFabrik: Tipps und Tricks rund ums freie Sprechen, Präsentieren usw. https://www.youtube.com/channel/UCkC-9P-VbzSNzsgMwtGdOXg
Kurzgesagt (dt.): die englische Fassung dieses Kanals ist mit derzeit 12 Millionen Abonnenten DER größte YT-Kanal aus Deutschland. https://www.youtube.com/user/KurzgesagtDE
Makoccino: wundervolle Kunst-Tutorials auf Englisch für alle, die kreativ sein wollen, aber nicht wissen, wie sie das machen sollen. https://www.youtube.com/user/makoccinos
Es lohnt sich einen Blick auf diese Kanäle zu werfen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß mit YouTube in Ihrem Unterricht. Wir sind gespannt auf Ihr Feedback.
Marija Dobrovolska unterrichtet DaF seit über 15 Jahren und ist hauptberufliche Youtuberin, sie betreibt seit 2016 den Kanal „Deutsch mit Marija“, der mit über 200.000 Abonnenten und über 20 Millionen Views bereits viele Deutschlernende (und auch DaF-Lehrkräfte) bei der Prüfungsvorbereitung unterstützt hat. Marija betreibt auch eine gleichnamige Onlineschule (deutsch-mit-marija.de), die sich derzeit auf die Niveaus B2-C1 spezialisiert und eine Bandbreite an Prüfungsvorbereitungskursen für telc, Goethe und andere Prüfungen anbietet, aber auch Deutschlerner unterstützt, die keine Prüfung anstreben.
Die gebürtige Lettländerin referiert gerne bei diversen Veranstaltungen über das Thema Youtube und sieht sich als Motivationstrainerin für DaF-Lernende. Sie betreut außerdem zahlreiche "junge" Youtube-Kanäle im Bildungsbereich und tritt regelmäßig bei Youtube-internen Events auf wie z. B. der EduCon in London (Youtubes hauseigenes Event für Bildungs-Youtuber) oder NextUp in Berlin, dem Bootcamp für junge Youtuber. Neben DaF interessiert sich Marija für Sprachen allgemein (sie lernt derzeit ihre 6.), TRIZ und NLP und schreibt ein Buch über Prüfungsvorbereitung und Motivation, das beim Praxis Verlag erscheint.
Ihr Hauptkanal, Deutsch mit Marija: https://www.youtube.com/channel/UCCAI6jmeW5hWz2-jaLPqLUQ
Ihr russischer Kanal, Deutsch mit Marija по-русски: https://www.youtube.com/channel/UCQGwM1PafvZ9tLsEylQYVXA
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